Die Vorkommnisse um den ehemaligen BVB-Trainer André Fuhr ziehen immer größere Kreise. Nun berichtet auch der SPIEGEL über die brisanten Vorfälle. Demnach haben sich vor allem auch zahlreiche Entscheidungsträger aus der Verantwortung gestohlen und die betroffenen Spielerinnen im Stich gelassen. Ein Armutszeugnis für den Frauenhandball.

Nicht nur Anja Ernsberger, Mia Zschocke und Amelie Berger schilderten dem SPIEGEL ihre leidvollen Erfahrungen unter André Fuhr. Auch Kim Berndt und Jolanda Bombis-Robben berichteten über ihre Zeit unter Fuhr. Als sich die SPIEGEL-Redakteure Matthias Fiedler und Erik Eggers intensiv mit den Vorwürfen gegen Fuhr beschäftigten, kam den beiden laut eigener Aussage das Gefühl, in ein Wespennest gestochen zu haben. So meldeten sich zahlreiche Spielerinnen bei den Redakteuren und gaben einen Einblick in ihr Seelenleben.  

Eine ehemalige Spielerin, die unter dem Trainer bei der HSG Blomberg-Lippe spielte, äußerte sich gegenüber dem SPIEGEL nicht nur zu den Taten des Trainers, sondern auch über die ausbleibende Reaktion des Geschäftsführers: „André Fuhr brachte mich oft zum Weinen. »Dein Weinen beeindruckt mich nicht«, sagte er mir, obwohl es für mich oft der letzte Weg war, um zu zeigen, dass ich Schmerzen hatte und nicht weitertrainieren konnte. »Wir sind Leistungssportler, und das gehört dazu«, antwortete er dann. Oftmals saß ich in der Geschäftsstelle, mir gegenüber Geschäftsführer Torben Kietsch und Trainer André Fuhr. Ich sagte ihnen, dass ich kein Hund sei und auch nicht wünsche, so behandelt zu werden. »Er ist der Trainer, du machst genau, was er sagt«, antwortete mir Kietsch. Und: »Wir sind in Deutschland, so läuft das hier. Ihr Holländerinnen seid ja keine Hierarchie gewöhnt.«“

Dass Spielerinnen vor allem von den Entscheidungsträgern oftmals im Stich gelassen wurden, macht auch eine Aussage einer ehemaligen BVB-Spielerin deutlich: „Als ich Abteilungsleiter Andreas Heiermann auf Herrn Fuhrs unprofessionelles Verhalten hinwies und erwähnte, dass der Trainer auch eine Freundin habe, antwortete Herr Heiermann sinngemäß: Seitensprünge seien heutzutage doch normal.“ Vorausgegangen waren nicht nur anzügliche Nachrichten von Fuhr an die betroffene Spielerin, sondern auch ein anzügliches und übergriffiges Verhalten. „Herr Fuhr behandelte mich nicht nur wie eine Spielerin, sondern auch wie eine Frau, mit der er sich eine sexuelle Beziehung wünschte. Bei einem Vorbereitungsturnier traf ich mich mit ihm zu einer Aussprache über meine Leistung. Zu einer Diskussion kam es nicht. Er versuchte sofort, mich zu küssen. Als ich geschockt aus dem Zimmer flüchten wollte, schnitt er mir den Weg ab, packte mich an den Schultern. Er wolle nur eine Umarmung, rechtfertigte er sich. Danach war ich total fertig“, berichtete die Ex-BVB-Spielerin dem SPIEGEL.

Eine ehemalige Nachwuchsspielerin der HSG Blomberg-Lippe musste aufgrund des Verhaltens von André Fuhr sogar ihre Karriere beenden und hat bis heute psychische Probleme. „Nach jahrelanger psychischer Gewalt unter Trainer Fuhr diagnostizierte eine Ärztin bei mir ein Burn-out-Syndrom. Als André davon erfuhr, rief er mich an, brüllte, ich sei gar nicht krank. Er begann, im Team gezielt Unwahrheiten über mich zu streuen. Verzweifelt hatte ich zuvor im Verein nach Hilfe gesucht – vergebens“, erklärt die Spielerin dem SPIEGEL und ergänzt: „Zum Ende meiner Zeit in Blomberg sollte ich nach einer langwierigen Knieverletzung zwölf Minuten so schnell wie möglich laufen. André drohte mir, mich zu suspendieren, sofern ich nicht innerhalb seiner vorgegebenen Zeit eine bestimmte Strecke zurücklegte. Also lief ich, so schnell ich konnte, trotz der gesundheitlichen Risiken. Wenig später erlitt ich eine Herz-Muskel-Entzündung. In der Folge suspendierte André mich vor versammelter Mannschaft und beschimpfte mich und meine Familie als »asozial«. Bis heute leide ich unter den Folgen dieser Ereignisse und musste zeitweise Psychopharmaka nehmen. Aufgrund der verschleppten Knieverletzung bin ich seit meinem 22. Lebensjahr erwerbsgemindert und beziehe eine gesetzliche Unfallrente.“

Dass sich nun mehr und mehr Spielerinnen, wenn auch anonym, an die Öffentlichkeit trauen, ist vor allem den beiden ehemaligen BVB-Spielerinnen Mia Zschocke und Amelie Berger zu verdanken. Beide haben sich gemeinsam mit ihren Eltern und der unabhängigen Anlaufstelle gegen Gewalt gegen das Verhalten von André Fuhr gewehrt. Zwar dürfen beide Nationalspielerinnen nicht mehr über die Vorkommnisse sprechen, da sie Stillschweigever­einbarungen unterzeichnen mussten, doch dem SPIEGEL liegt ein ausführliches Protokoll aus der Zeit beim BVB vor. Wie der SPIEGEL schreibt, sollen beide Spielerinnen schon im April versucht haben, BVB-Abteilungsleiter Andreas Heiermann davon zu überzeugen, Fuhr zu bremsen, doch Heiermann hielt offensichtlich zu Fuhr und soll Inhalte aus dem vertraulichen Gespräch an ihn durchgestochen haben. 

Der ausführliche Text des SPIEGEL unterstreicht an verschiedenen Stellen immer wieder das Versagen der Verantwortlichen, die die Möglichkeit gehabt hätten, die Spielerinnen zu schützen und den Trainer von seinen Aufgaben zu entbinden. Die Reaktionen der Entscheidungsträger auf Nachfrage des Spiegels fielen meist relativ schmallippig aus. Auf Anfrage des SPIEGEL schrieb zum Beispiel der Geschäftsführer der HSG Blomberg-Lippe, dass die Vorwürfe Fuhr »nach unseren Erfahrungen in der Ganzheitlichkeit nicht gerecht« werden. Vielleicht hätten »wir André Fuhr an der ein oder anderen Stelle etwas frühzeitiger und nachhaltiger zu mehr Ruhe auffordern sollen und erkennen müssen, dass es um mehr gegangen sein könnte als einen ›rauen Ton‹«. Die Gesundheit der Spielerinnen müsse immer an erster Stelle stehen. »Wenn eine Spielerin wissentlich verletzt/krank ist, wird sie natürlich nicht dazu gezwungen bzw. Druck ausgeübt. Das gilt für das ›Hier und Heute‹, galt aber auch für die Vergangenheit.«

Auch der DHB hält sich aktuell bedeckt. Zwar lösten die Verantwortlichen den Vertrag mit Fuhr ebenfalls auf, doch dass der Trainer überhaupt eine Anstellung beim DHB bekam, obwohl schon zu diesem Zeitpunkt intern von Vorfällen berichtet wurde, ist unverständlich. Zschocke und Berger haben auch einen deutlichen Wunsch an den Verband: „Wir spielen beide mit sehr viel Herzblut für Deutschland. Für die Zukunft wäre es wünschenswert, wenn unser Verband mehr Schutz und mehr Unterstützung in solch sensiblen Angelegenheiten bieten würde.“

Den ausführlichen Text des SPIEGEL und weitere Aussagen unter anderem von Kim Berndt und Anja Ernsberger könnt ihr unter folgendem Link nachlesen: https://www.spiegel.de/sport/handball/frauen-handball-fall-andre-fuhr-seit-jahren-ist-das-in-der-liga-bekannt-a-314bbf29-3fbc-42c2-8393-e36088911c61?sara_ecid=soci_upd_KsBF0AFjflf0DZCxpPYDCQgO1dEMph

Dieser Text erschien auf frauenhandball.com!

Unterstütze Sport | Medien | Mundt: PayPal Spende